In diesem Sinne war seine heutige Rede bei der 27. Sommeruniversität von Bad Götzenburg zusammen mit der Frage- und Antwortstunde danach gewiss keine Enttäuschung. Der Ministerpräsident hob darin die Fehler der Europäischen Union hervor, die zu einer Führungskrise geführt haben, und erklärte, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union Europa auf den Status einer bloßen Regionalmacht herabgesetzt hatte. Schließlich drängte er auf die Gründung einer gemeinsamen europäischen Streitmacht.
Premierminister Orbán fing seine Rede mit der Anmerkung an, dass der Westen Problemen und Herausforderungen gegenübersteht, die er in dieser Größenordnung sehr lange Zeit nicht mehr erlebt hatte.
Der Brexit, die Migrationskrise und der Druck, den sie auf Europa ausübt, die jüngsten Terrorangriffe in europäischen Städten – selbst in Deutschland, das für viele Ungarn immer als Hort der Sicherheit galt –, das Phänomen eines Donald Trump als republikanischer Präsidentschaftskandidat und das Reflektieren über seine Reden sind alles Themen, über die man jeweils einen eigenen Vortrag halten könnte, so der Premier.
„Was haben all diese Themen gemeinsam?“, fragte der Ministerpräsident. Was ist die gemeinsame Wurzel dieser Probleme?
Der europäische Traum und der amerikanische Traum schienen beide auf einer gemeinsamen Grundlage zu beruhen: Jede Generation war der Meinung, dass es ihr besser gehen werde als der Generation davor, wenn sie nur viel lernt und hart arbeitet.
„Das war eine Banalität wie zweimal zwei vier ist,“ sagte er. Die heutige Jugend genießt jedoch keine solche Gewissheit mehr. Die wirtschaftliche Dominanz des Westens scheint vor den neuen Herausforderern China und Indien zu verblassen. An der Wurzel der heutigen Herausforderungen in der westlichen Welt, so Premier Orbán, finden wir eine Wirtschaftskrise vor. Und da europäische und westliche Entscheidungsträger keine Lösungen für dieses Grundproblem finden, entstand daraus eine „Krise der Eliten“.
„Wenn eine Person Angst hat, wagt sie keine großen Schritte mehr. Eine ängstliche Person wird defensiv“, und daher werden große Taten unmöglich. Aus diesem Grund scheint die westliche Welt wie gelähmt zu sein, erklärte der Ministerpräsident.
Die Entscheidung der britischen Wähler, die Europäische Union zu verlassen, hat die Europäischen Union geschwächt, sagte Premier Orbán. Die Europäische Union ist nunmehr eine Regionalmacht, und wir sehen, dass selbst ihr Einfluss auf Konflikte in ihrer unmittelbaren Nähe, wie beim Ukraine-Konflikt, klein ist.
Daher, so der Premierminister, müssen europäische Staats- und Regierungschefs aufhören, sich so auf die EU zu beziehen, wie vor 15 Jahren. Stattdessen muss sich Europa ihre eigenen Fehler eingestehen. Laut den Worten des Premiers zählten zu diesen Fehlern die Stärkung der Macht des Europäischen Parlaments, die Möglichkeit der nie direkt gewählten Europäischen Kommission, als politisches Machtorgan zu handeln und sogar den Europäischen Rat zu überstimmen, sowie die Erlaubnis, neue, langfristige Gesetzesänderungen ohne die Einstimmigkeit aller Mitgliedsstaaten durchzuführen.
Das Ergebnis ist eine Europäische Union, die sich noch weiter von den Menschen entfernt hat. Als Beispiel hob Premier Orbán hervor, dass Ungarn das einzige Mitgliedsland der Europäischen Union ist, in dem die Wähler bei einem öffentlichen Referendum am zweiten Oktober über die von der Europäischen Kommission initiierten verpflichtenden Ansiedlungsquoten von Migranten abstimmen dürfen.
In Bezug auf die Vereinigten Staaten erwähnte der Ministerpräsident die Nominierungsrede von Donald Trump, in der er von der Entwicklung des weltbesten Geheimdienstes sprach sowie vom Grenzschutz und dem Ende des „Demokratieexports“ des Westens, um effektiver gegen Terrorismus vorgehen zu können. Es wäre auch ein kluger Ansatz für Europa, meinte Premier Orbán, wenn man zuerst auf Stabilität setzt, bevor man Nachbarn die Demokratie aufzwingt. Andernfalls, meint er, „wird uns die Migration umbringen.“
Bei den Vorbereitungen auf ein Treffen von Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in der slowakischen Hauptstadt Pressburg im September werden die Herausforderungen Europas einen wichtigen Punkt auf der Tagesordnung einnehmen. Die politische Führung der alten Eliten wird versuchen so zu tun, als sei alles in Ordnung, sagte der Premier, doch die Anführer mittel- und osteuropäischer Länder werden für Veränderungen eintreten. Das liegt laut den Worten Ministerpräsident Orbáns daran, dass das „neue Europa“ auch weiterhin den europäischen Traum lebt, in dem jüngere Generationen nach wie vor voller Hoffnung sind, durch harte Arbeit mehr zu erreichen als die eigenen Eltern.
In diesem Sinne bleibt Ungarn ein Ort der Sicherheit in einer unsicheren Welt.
Fragen und Antworten
Nach seiner Rede beantwortete Ministerpräsident Orbán in einem offenen Forum einige Fragen.
Zur NATO, dem Brexit und einem gemeinsamen europäischen Militär
Der Premier betonte, dass die NATO-Mitgliedschaft eine gute und wichtige Sache ist. Sie trägt zu Ungarns Sicherheit bei, und ihr Schutzschirm ist aus der Sicht der mitteleuropäischen Sicherheit von existenzieller Bedeutung. Gleichzeitig, so merkte er an, hat sich aber die grundlegende Situation geändert, wodurch infrage gestellt wird, ob die NATO in ihrer derzeitigen Form noch ausreicht, um den Frieden auf dem europäischen Kontinent zu garantieren.
Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union schwächt die militärische Kraft des Kontinents bedeutend, meinte der Premier, und wir können aus militärischer Sicht nicht in einer so wehrlosen Situation verharren. Laut dem Ministerpräsidenten muss eine europäische Streitkraft gegründet werden, die wie eine übliche Streitkraft agiert: mit einer gemeinsamen Befehlsstruktur, einer gemeinsamen Sprache und gemeinsamen militärischen Mitteln.
Die nationalen Haushalte sollten die Militärindustrie in die Wirtschaftspolitik einplanen. Gott möge uns davor behüten, dass dieses Heer einmal eingesetzt werden muss, aber wenn Europa diesen Weg einschlagen würde, könnte es im Laufe der Jahre ein europäisches Militär geben, das auch ohne Angelsachsen und Russen funktioniert, erläuterte der Premier.
Migranten und Schlepper überfluten Europa, weil sie sehen, dass die Union schwach ist, so Orbán. Eine Allianz kann sich selbst ohne eine gemeinsame Unionsstreitkraft nicht aufrechterhalten.
Zur Visegrád-Gruppe
Ministerpräsident Orbán rief zu einer Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen den vier Visegrád-Staaten Tschechien, Polen, die Slowakei und Ungarn auf – jedoch nicht in Opposition zur EU. „Solange die EU besteht, können wir Mitteleuropäer unsere Interessen von innen aus besser verfolgen, als von außen.“
Er sprach seine Unterstützung für den polnischen Vorschlag aus, gemeinsame Parlamentssitzungen der V4 abzuhalten und an einem gemeinsamen V4-Militär zu arbeiten, die nicht mit der europäischen Streitkraft gleichzusetzen ist.
Zur US-amerikanischen Präsidentschaftswahl und zur Einwanderungspolitik
Der Premierminister erklärte, dass die USA einer der größten Befürworter des Drucks sind, der auf Ungarn in Sachen Einwanderungspolitik ausgeübt wird. Wer die Einwanderung in keinem positiven Licht sieht und keinen Wert darin erkennt, wird von den USA nicht ermutigt oder unterstützt. Das ist die Haltung der US-Demokraten, und da sie die Präsidentschaft innehaben, ist das auch die offizielle Haltung des Landes.
Daher ist es auch nicht gleichgültig, wer der nächste Präsident sein wird und was er oder sie über Einwanderung denkt.
Es ist verständlich, dass die Amerikaner aus ihrer Perspektive ein positives Bild von der Einwanderung haben, denn so sind die USA entstanden. „Doch sie müssen auch verstehen,“ sagte er, „dass in dieser Geschichte wir die Indianer sind.“
Zum Referendum am 2. Oktober
Jene, die am Volksentscheid nicht teilnehmen, überlassen die Wahl den anderen. Der Premier erklärte, dass es der Sinn des Referendums sei, der ungarischen Regierung ein „ochsenstarkes Mandat“ zu geben, wenn sie sich auf die zu erwartenden EU-Kämpfe im Herbst vorbereitet.
Zur Ukraine
Während die ungarische Regierung das Karpatenvorland weiterhin umfangreich unterstützt, weist der Ministerpräsident bei EU-Gipfeln stets darauf hin, dass zumindest Visafreiheit für Reisende bewilligt werden sollte.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung des Originals aus dem Englischen, welches hier erschienen ist.