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Viktor Orbáns Interview in der Sendung „180 Minuten” [„180 perc”] von Radio Kossuth

Viktor Orbáns Interview in der Sendung „180 Minuten” [„180 perc”] von Radio Kossuth

Éva Kocsis: Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán. Ich wünsche einen guten Morgen!

Guten Morgen!

Sprechen wir ein bisschen über den letzten Unionsgipfel. Verlief dieser wegen der Ungarn oder wegen der Polen in gespannterer Atmosphäre?

Es war ein schwieriger Gipfel. Personalentscheidungen sind immer heikel und wir mussten den Präsidenten des Europäischen Rates wählen. Der Europäische Rat ist die beratende Körperschaft der Ministerpräsidenten, und wer ihn leitet, der steuert im Wesentlichen die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen innerhalb der Union. Es handelt sich dabei also um eine wichtige Sache und diesen Beschluss haben polnische innenpolitische Debatten begleitet, deshalb war der Gipfel angespannt. Doch sind wir über diesen Punkt hinweggekommen und danach wurde unsere Beratung aus anderen Gründen angespannt. Es sind nämlich ernste Fragen, die Zukunft Europas kam auf das Tapet und es fällt sehr schwer, über die Zukunft Europas nüchtern zu reden, zum Teil, weil es zu viele Standpunkte gibt, die – wie das ungarische Sprichwort sagt – „ziehen in zu viele Richtungen“. Andererseits ist das eine doppelbödige Situation. Einerseits ist Europa noch immer der beste Ort der Welt, andererseits spüren wir alle, dass wir vor einem Zeitalter des Niedergangs und der Herausforderungen stehen. Wenn wir also keine Veränderung durchführen, dann wird der europäische Kontinent die wirtschaftliche und politische Bedeutung, die er in der Welt einnimmt, oder einen ansehnlichen Teil davon, in kurzer Zeit verlieren. Die Bahn, auf der wir uns befinden, ist also schlecht. Hieran müsste man etwas ändern und so etwas hat immer angespannte Diskussionen zum Ergebnis.

Wurde auf den Tisch gehauen?

Schauen Sie! Zunächst sind dort Damen anwesend. Dies schränkt unsere Möglichkeiten ein.

Naja, aber Frauen können auch ihre Stimme laut herauslassen.

Ja, aber nein, wir, Männer, müssen uns in solchen Situationen anständig verhalten, wenn auch Damen anwesend sind. Und bekanntermaßen führen in mehreren Ländern kämpferische, harte und hoch respektierte Frauen die Regierungen an. Wir sprechen gar nicht über kleine Länder, Polen ist ja ein ernsthaftes Land, Großbritannien ist noch größer und dann sind da ebenfalls noch die Deutschen. Also dieser Umstand leitet die Gespräche in ein gewisses Bett. Andererseits aber, ist unter den Ministerpräsidenten noch immer der Debattierstil der alten Schule verbreitet, dass wir also Argumenten Argumente entgegensetzen, und dann diese dort aneinander messen und gemeinsam versuchen, eine gute Entscheidung unter Dach und Fach zu bringen. Es ereignet sich also nicht ein vor TV-Kameras ablaufender Schlagabtausch von einer halben Minute Länge, sondern eine substanzielle, ernsthafte Besprechung, deshalb kann von einem Auf-den-Tisch-Hauen auch nicht die Rede sein. Deutlich unterschiedliche Standpunkte gibt es aber.

Ich frage deshalb nach dem Auf-den-Tisch-Hauen, weil ich vorhin mich mit Kinga Gál unterhalten habe, die sagt, jene Unterkommission oder Kommission, die schon mehrfach die Rechtsstaatlichkeit in Zusammenhang mit Ungarn untersucht hat, in dieser war die Situation ziemlich angespannt wegen der Grenzsperre.

Ja, aber das ist eine parteipolitische Angelegenheit. Denn die Kommission, die innerhalb des Rahmens des Europäischen Parlaments arbeitet, wurde grundlegend auf Basis der Parteilogik gebildet und dementsprechend vertreten dort die Parteien Parteistandpunkte, während die Ministerpräsidenten nationale Standpunkte vertreten. Das gibt immer mehr Möglichkeiten zur Nüchternheit.

Aber die Grenzsperre, die ungarische Grenzsperre ist über das Stadium einer Parteiangelegenheit bereits hinaus, denn sagen wir in einer ähnlichen Sache gab es auch eine Entscheidung von Strassburg. Strassburg sagt, die Transitzone sei im Grunde Haft, auch wenn sie dieses Gebiet frei Richtung Serbien verlassen dürfen. Praktisch ist es also zu erwarten, was mit Ungarn geschehen wird.

Ja. Das müssen wir hier in einen größeren Zusammenhang setzen. Die Sache ist nämlich die, dass wenn ich dieses Jahr, das Jahr 2017 in einem Satz für die Ungarn zusammenfassen will, dann, oder für uns zusammenfassen, dann sage ich: In diesem Jahr muss Brüssel aufgehalten werden. Brüssel wird also in diesem Jahr eine Reihe von Initiativen starten – ein Bestandteil davon wird auch dieses Gerichtsurteil sein –, die nationale Zuständigkeiten von uns wegnehmen, von dort aus gesehen an sich ziehen, verschlucken will. Das sind wichtige Themen, und wenn die Zuständigkeiten nach Brüssel übergeben werden, dann stellt dies für die Mitgliedsstaaten eine Gefahr dar, ganz besonders für Ungarn. Es gibt zahlreiche solcher Themen. Ich habe fünf wichtigere identifiziert. In diesen fünf Angelegenheiten, was die Frage der Reduzierung der Nebenkosten, deren Verteidigung, die Frage der Migration, das Transparentmachen der in Ungarn eine politische Tätigkeit ausübenden Organisationen, das Transparentmachen ausländischer Organisationen, das Behalten des Steuerrechtes in Ungarn, des Rechtes der Festlegung von Steuern und die Verteidigung unserer Mittel zur Schaffung von Arbeitsplätzen – diese fünf großen Themen haben wir. In diesen werde ich auch eine nationale Konsultation starten, denn dies wird eine derartige ernsthafte Schlacht werden, die aus eigener Kraft die Regierung allein kaum erfolgreich ausfechten kann. Wir werden also hier auch eine nationale Einheit benötigen. Jetzt, um auf die von Ihnen aufgeworfene Frage zurückzukommen, innerhalb dieses Rahmens befindet sich diese – was ist hier geschehen? Wir sind von einer in Ungarn tätigen internationalen Organisation vor Gericht gebracht worden. Um Klartext zu sprechen: Auch György Soros finanziert diese Organisationen. In dem Prozess ging es darum, dass wir, zwei soweit ich mich erinnere vielleicht aus einem afrikanischen Land stammende Menschen nach Griechenland zurückgeschickt haben. Wir haben sie nicht nach Ungarn hereingelassen, sondern sie zurückgeschickt. Und das Gericht hat deklariert, hat Ungarn verurteilt, hat dieser aus dem Ausland finanzierten internationalen Organisation – deren Namen ich jetzt hier nicht nenne – darin Recht gegeben, dass wir diese Menschen hätten hereinlassen müssen, und es sei ein Fehler gewesen, sie nach Griechenland zurückzuschicken, denn in Griechenland wurde ihnen eine unmenschliche Behandlung zuteil. Nun ist jetzt aber Griechenland Mitglied der Europäischen Union. Wie zum Teufel, Verzeihung, ist es möglich, dass die Europäische Union selber über einen Mitgliedstaat der Europäischen Union erklärt, dort herrschten Zustände, dass ihnen eine unmenschliche Behandlung zuteil würde? Und ein Land, dass das Gesetz einhält, denn wen wir nicht hereinlassen, der muss in das Land zurückgehen, wo er das Gebiet der Union betreten hat. Wir sind also das das Gesetz respektierende Land, und wir werden verurteilt. Wie kann das vorkommen? Und dann müssten wir dieser internationalen Organisation die Kosten des Gerichtsverfahrens bezahlen, und diesen beiden armen afrikanischen Menschen müssten wir vielleicht etwa jeweils drei Millionen, insgesamt etwa sechs Millionen Forint überweisen. Wir wissen nicht einmal, wo sie sind, wer sie sind. Das ganze ist also ein absurder Nonsens, das ein Zusammenspiel der Menschenschmuggler, der Brüsseler Bürokraten und der in Ungarn tätigen, durch ausländische Gelder finanzierten Organisationen ist. Das ist jene Menge von Erscheinungen, die wir aufdecken und gegenüber denen wir uns verteidigen müssen.

Wir kommen gleich zu dem „Wo sind sie?“ zurück. Ich möchte die Arbeit der führenden Politiker der Union keinesfalls kritisieren, aber wir sind genau an dem Punkt wie vor zwei Jahren.

Nun, wir sind weiter, und zugleich noch an der gleichen Stelle. Denn vor zwei Jahren gab es noch keinen Zaun in Ungarn. Man kann also die qualitative Veränderung in der europäischen Migrationspolitik auf die Weise beschreiben, dass es ein Land gibt – das ist Ungarn –, das sich für seine eigenen Interessen eingesetzt hat, und sich für das Prinzip einsetzt, dass das Wesen der Europäischen Union die Einhaltung der gemeinsam geschaffenen Rechtsvorschriften ist. Und wir haben eine gemeinsame Rechtsvorschrift über den Schutz der Grenze und diese muss eingehalten werden. Da kann man nicht nach Belieben hinein- und hinausspazieren und man kann nicht auf Grund kurzfristiger politischer Interessen von der Durchsetzung des in einer Rechtsvorschrift festgehaltenen Grenzschutzes absehen. Dies ist eine neue Situation. Dieses Beispiel, Sie erinnern sich sicherlich daran, es gab gewaltige Diskussionen, in denen ich als alles Mögliche, nur nicht als anständiger Mensch hingestellt worden bin, und wir haben jede Art von Kritik erhalten. Dieses Beispiel ist heute inzwischen nicht nur akzeptiert worden, sondern wird als ein zu befolgendes Beispiel angesehen. Mehrere Länder auf dem Balkan verfahren auf ähnliche Weise und auch andere Länder, hier ist zum Beispiel das benachbarte Österreich oder eben Slowenien, auch andere Länder schließen ihre Grenze ab. Also in Ungarn ist das geschehen – man muss bescheiden formulieren, denn die großen Worte erdrücken einen, aber es geschah –, dass Ungarn seine Grenzen verteidigt hat und die Grenzen Europas verteidigt hat. Zum Teil auf die Weise, dass unsere Grenze eine europäische Grenze ist, und dass Ungarn andere überzeugt hat, dies zu tun. Wenn also die Grenzen Europas auch nur halbwegs geschützt sind, dann spielen hierin die Ungarn, dann spielen wir hierbei eine ernsthafte persönliche Rolle.

Die Frage, die Sie gestellt haben, ist aber interessant, wo sie sind, denn ich bin neugierig, ob im Rahmen einer Debatte in der Europäischen Union die praktischen Aspekte dieser Situation zur Sprache kommen? Denn schließlich geht es doch darum, dass die Regeln vorhanden sind. Im Sinne der Regulierung ist es tatsächlich so in der Europäischen Union, dass wenn jemand seinen Antrag auf ein Asylverfahren eingereicht hat, dann kann er sich im jeweiligen Mitgliedstaat frei bewegen, übrigens also nicht auf dem gesamten Gebiet der Europäischen Union. Nur besteht das Wesentliche dieses Verfahrens, also des Asylverfahrens darin, dass der den Antrag einreichende Mensch kontrolliert wird, was nur schwerlich durchgeführt werden kann, wenn er aus dem Sichtkreis der Behörden verschwindet.

So ist es. Deshalb habe ich auf dem letzten Unionsgipfel den Ministerpräsidenten jene ungarische Entscheidung vorgestellt, dass ab jetzt dies bei uns nicht so sein wird, sondern wer in Ungarn seine Papiere einreicht und das Gebiet der Union über unsere Grenze betreten möchte, muss so lange in Gewahrsam bleiben, muss also an einem kontrollierbaren Ort bleiben, bis seine Angelegenheit nicht abgeschlossen ist. Weil was war früher? Wir sind übers Ohr gehauen worden, man hat also die rechtlichen Gesetzeslücken ausgenutzt, sie haben ihren Antrag eingereicht, wir haben diesen abgewiesen. Dann haben die in Ungarn aus dem Ausland finanzierten Organisationen aus diesem ausländischen Geld juristische Verfahren in die Wege geleitet, sie haben die Entscheidung des ungarischen Staates vor dem Gericht angefochten, und bis zu dem richterlichen Urteil durften diese Menschen entsprechend der europäischen Rechtsvorschriften sich frei in Ungarn bewegen. Dieses Recht haben sie auch missbraucht, denn sie sind einfach Richtung Westeuropa weitergegangen, wo es keine Grenze mehr gibt, und wenn wir beachten, dass sich im vergangenen Zeitraum zahlreiche Terroristen als Flüchtlinge getarnt haben, so war dies die einfachste Weise, damit die Terroristen nach Europa hineingelangen. Dem kann man nicht tatenlos zuschauen, während in Europa Menschen zu Hunderten sterben. Ich habe auf der Sitzung der Ministerpräsidenten ausgeführt, dass Ungarn dies beschlossen, das Parlament es gutgeheißen hat, und wir schaffen eine Transitzone an der Grenze, entlang der gesamten Grenze, so wie sie es im Übrigen auf ihren Flughäfen machen. Auf den Flughäfen ist dies die Lage. Das gilt nicht als Haft, denn der, der das Gebiet Ungarns betreten will, aber von uns noch nicht die Erlaubnis hierzu bekommen hat, befindet sich in der Transitzone, aber wenn ihm das nicht gefällt, dann kann er Richtung Serbien zurückgehen.

Womit rechnen Sie seitens der Europäischen Union? Kommt ein Vertragsverletzungsverfahren?

Wir werden sehen. Die Ministerpräsidenten haben ohne weiteres zur Kenntnis genommen, was ich gesagt habe. Wofür der Grund auch darin zu suchen ist, dass sie zugleich ständig darauf drängen, besonders die Deutschen und die Österreicher, dass solche Personen nicht ihr Gebiet betreten können sollen, die sie dort nicht sehen wollen, das heißt die die zum Aufenthalt auf dem Gebiet der Union notwendige offizielle Erlaubnis nicht erhalten haben. Und dies kann ich auf keine andere Weise erfüllen, Ungarn und die anderen Grenzländer können dies nicht anders erfüllen, nur wenn es das Transitzonensystem entlang seiner gesamten Grenze einführt. In Wirklichkeit halten wir also eine Rechtsvorschrift, eine europäische Rechtsvorschrift ein, und dabei schützen wir auch die Interessen der hinter uns, hinter unserem Rücken liegenden, also der in westlicher Richtung liegenden Länder, die viel reicher als wir sind, und zugleich verteidigen wir die Sicherheit jedes europäischen Menschen, denn wir sieben Terroristen aus. Es ist schwer, dagegen zu argumentieren. Verzeihung, Soros und seine Leute werden das selbstverständlich tun, sie werden uns dann energisch angreifen, aber wir werden versuchen, jenes Match zu gewinnen.

Wenn Sie schon György Soros vorhin erwähnt haben, was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass viele sagen, Sie würden überall Gefahren sehen?

Wenn ich zum Beispiel jetzt hier bei Ihnen sitze, da habe ich überhaupt nicht solch ein Gefühl. Und es gibt zahlreiche Orte, an denen ich keine Gefahr sehe. Jedoch ist es meine Aufgabe, und hierauf habe ich meinen Eid geleistet, es gibt einen Eid des Ministerpräsidenten im ungarischen verfassungsmäßigen System, dass ich die Verfassung und die verfassungsmäßigen Rechtsvorschriften einhalte und einhalten lasse, sie selbst noch durch die Ausländer einhalten lasse.

Ist auf der Beratung zur Sprache gekommen, dass die Regelung verändert werden sollte?

Sie meinen die allgemeinen Regelungen durch die Europäische Union?

So ist es. Denn die Lage ist ja die, dass die Regelung in dem Fall funktioniert, wenn 2, 3, 14 Asylsuchende auf dem Gebiet der Europäischen Union ankommen, doch darüber sind wir hinaus.

Meine Kollegen sind in keiner einfachen Situation. Nur in sehr wenigen Ländern verfügen die Regierungen über eine absolute Mehrheit, also eine vollkommene Mehrheit. Im Allgemeinen gibt es Koalitionsregierungen. Und in den europäischen Koalitionsregierungen finden sich häufig Liberale und Linke, und die stehen auf der Seite der Einwanderung. Die Liberalen aus prinzipiellen Gründen, die Sozialisten, das verstehe ich nicht ganz, aber vielleicht ebenfalls aus irgendwelchen ideologischen Gründen. Sie wollen eindeutig die Einwanderung. Als Sie mich vorhin über die Atmosphäre der Gespräche fragten, nun, wir haben auch das letzte Mal über ein Dokument gesprochen, das wir in der nächsten Woche in Rom aus Anlass des sechzigsten Jahrestages der Gründung der Union annehmen möchten und in dem es um die Zukunft Europas geht. Da musste ich mich auch mit den Ministerpräsidenten einiger größerer Länder auseinandersetzen, denn sie wollten einen Text annehmen, in dem geschrieben stand, die Migration müsse human und gut gemanagt werden. Und ich habe gesagt, wir sollten das Ziel niederschreiben, und das Ziel ist, dass keine Migranten nach Europa kommen sollen. Das Ziel ist also nicht, dass wir die Migration gut managen, sondern dass wir sie nicht hereinlassen, sie aufhalten, und die tatsächlichen Flüchtlinge außerhalb unserer Grenzen von den Migranten trennen. Nun, damit sind sie nicht einverstanden, das heißt es gibt einige, die damit nicht einverstanden sind. Und deshalb können wir keinen solchen Text zusammenstellen, denn sie wollen die Migranten hereinholen, gut gemanagt, und geschickt, und human, wir, Ungarn, und noch einige andere Länder sagen, vielen Dank, wir entscheiden selbst, mit wem wir zusammenleben wollen, und uns sollen sie keine Migranten an den Hals bringen. Und hieraus ergibt sich eine die Zukunft Europas beeinflussende Diskussion.

Diese Situation bereitet es vor oder hat es bereits vorbereitet, worüber wir uns schon vor zwei Jahren unterhalten haben, als der deutsche und der französische Wirtschaftsminister einen Artikel darüber verfassten, wie man die Leitung des Europa der zwei Geschwindigkeiten sich vorstellen müsse. Es ist im Übrigen interessant, dass vor zwei Jahren der Verfasser dieses Artikels jener französische Wirtschaftsminister war, der gegenwärtig gute Aussichten auf den Posten des Präsidentschaftskandidaten besitzt und ähnlich denkt – es geht um Emmanuel Macron –, und ähnlich denkt wie Angela Merkel. Also die Politiker waren dort in Versailles, es gab einen Minigipfel, wo ähnlich über dieses Europa der zwei Geschwindigkeiten, oder wie sie es nennen, über das differenzierte Europa gesprochen wurde. Halten Sie diesen Minigipfel im Wesentlichen für eine Kraftdemonstration oder für eine Warnung?

Ich hatte erwähnt, dass unsere Diskussionen von Zeit zu Zeit angefüllt sind mit Emotionen und Energie, denn die Europäische Union steht tatsächlich vor wichtigen Entscheidungen, es steht also einiges auf dem Spiel. Und natürlich ist diese Debatte über zwei Geschwindigkeiten, eine Geschwindigkeit, wichtig, hierüber werde ich gleich noch einiges sagen, aber ich schaue immer nur darauf, was aus dieser Debatte für Ungarn folgt, und wenn ich sehe, dass hieraus folgt, dass sie nationale Zuständigkeiten nach Brüssel abziehen wollen, dann versuche ich, obwohl es sich um eine allgemeine Debatte handelt, mich im Zeichen des Schutzes der nationalen Souveränität einzuschalten. Weil da ist zum Beispiel diese große Frage der Zukunft, ob die Europäische Union eine soziale Säule haben solle. Das ist so ein Blabla, hinter dem in Wirklichkeit sich das verbirgt, dass sie den Mitgliedsstaaten das Recht auf die Festlegung der Steuern nehmen wollen. Wenn nun die in der Frage der Schlüssel, der Methode, der Struktur des ungarischen Steuersystems nicht in Budapest, sondern in Brüssel entschieden würde, dann kann ich eine Sache mit Sicherheit konstatieren: Die Multis werden damit gut fahren, aber die Ungarn nicht. Man muss also dieses Europa der einen Geschwindigkeit, Europa der zwei Geschwindigkeiten immer auch ins Ungarische übersetzen, was wohl aus dieser Diskussion für uns hervorgeht. Oder wenn sie sagen „Energieunion“, was eine große Frage der Zukunft darstellt, dann bedeutet dies, dass Brüssel die Festlegung der Höhe der Nebenkosten uns wegnehmen will, denn die Energieunion bedeutet, dass nicht die Mitgliedstaaten den Preis des Stroms, des Gases sowie der Fernheizung festlegen werden, sondern dies wird im Rahmen eines komplizierten Systems irgendwo dort in der Gegend von Brüssel getan werden. Dies bedeutet, dass die Multis daraus mit Sicherheit einen Vorteil haben werden, die großen Energieproduzenten ebenso, dass aber die ungarischen Menschen davon nicht profitieren werden, das ist auch sicher. Denn bevor unsere Regierung die Reduzierung der Nebenkosten durchgesetzt hätte, profitierten immer die Multis, die Preise lagen sehr hoch, die Menschen konnten sie kaum bezahlen, und seitdem dies nicht mehr so ist, sondern wir selbst die Dinge in die Hand genommen haben, sind die Preise niedriger geworden, und die Menschen halten diese Lebenshaltungskosten aus. Im Falle der zur Lebenshaltung notwendigen Produkte gibt es keinen Wettbewerb, das ist nicht so wie im Fall der Milch und des Brotes, dass ich wählen kann, in welchem Geschäft ich sie kaufe, das Gas kann man nicht von hier oder von dort kaufen. Wenn im Falle der zur Lebenshaltung notwendigen Produkte der Staat nicht im Interesse seiner eigenen Bürger reguliert, dann werden die Multis sehr gut fahren. Dies muss verhindert werden. Hinter den erhabenen Diskussionen über die Zukunft Europas finden wir also, wenn ich sie in die Sprache der ungarischen Wirklichkeit übersetze, grundlegende und einschneidende Fragen.

Dann sollten wir es übersetzen! Sie haben über diese soziale Säule gesprochen. Ich habe hier ein Dokument vom 8. März 2016 gefunden, „Europäische Säule sozialer Rechte“, ich nehme an, Sie denken hieran. Hierin steht, dass nach den Vorstellungen diese Säule innerhalb der Eurozone entsteht, doch auf freiwilliger Basis können sich ihr auch andere Mitgliedsstaaten anschließen. Das betrifft uns – in meiner Auslegung – nicht.

Vorerst nicht, aber diese Debatte ist noch nicht abgeschlossen. Wir debattieren gerade jetzt darüber, und dies knüpft an an Ihre andere Frage, inwieweit wir, die wir nicht Mitglieder der Eurozone sind, dazu beitragen sollen, dass die Eurozone eine innere Regelung erschafft, deren Teil wir nicht sind. Deshalb nennt man dies „zwei Geschwindigkeiten“. Die Frage ist, ob sich nicht erneut die gleiche historische Situation herausbildet, wie es sie früher gab, dass Europa einen Kern und eine Peripherie haben wird? Und für unseren Beitritt zur Europäische Union, für das ganze war der ersehnte Hintergrund, war die grundlegende Motivation, dass Ungarn endlich aus diesem Schwebezustand zwischen Osten und Westen, aus dieser peripheren Situation, aus dieser Situation des nur wenig entwickelten Landes hervortreten und sich dem Lebensstandard der großen europäischen Länder, ihrem Wirtschaftssystem würde anschließen können, dass wir alle, Polen, Tschechen, Slowaken und Ungarn zum Kern Europas würden werden können. Wenn aber jene, die weiter voran sind als wir, uns dadurch abschütteln wollen, indem sie eigene Systeme ausbauen, dann ist es fraglich, ob dieser unser historischer Plan Wirklichkeit werden kann. Dies ist eine große Diskussion, ich urteile jetzt nicht, oder betrete in der Angelegenheit auch nicht die Schranken, ich habe nur die Lage beschrieben, da wir uns auch noch innerhalb der V4 in vielerlei Hinsicht abstimmen müssen, denn das Wesentliche ist, dass in diesen Fragen die mitteleuropäischen Länder so einheitlich wie möglich auftreten. Hierbei können wir übrigens auch noch mit den Rumänen rechnen.

Ich wollte gerade hierzu eine Frage stellen: Kann es nicht sein, dass das entschiedene gemeinsame Auftreten der Visegráder Vier, der osteuropäischen Länder diese Art der Kraftdemonstration, der Warnung hervorgerufen hat, die wir zum Beispiel in Versailles gesehen haben?

Ich glaube nicht, dass dies der Grund gewesen wäre. Der Grund ist viel mehr der, dass die zur Eurozone gehörenden Länder die Antwort auf die Frage suchen, warum ihr Wirtschaftswachstum sich verlangsamt hat. Warum verlieren sie in der Weltwirtschaft an Boden? Warum nimmt der Anteil ihrer Leistung an der internationalen Gesamtproduktion der Welt kontinuierlich ab? Auf diese Fragen suchen sie die Antwort. Während bei jenen, die nicht zur Eurozone gehören, wie zum Beispiel die Polen oder die Ungarn, also die Mitteleuropäer, die Wirtschaft schneller wächst, wir entwickeln uns schneller, sind wettbewerbsfähiger und nicht nur dass wir nicht an Boden verlieren, sondern ständig neue und weitere Märkte in der Weltwirtschaft gewinnen. Dies ist also eine wichtige Frage, auf die auch die Westler ihre eigene Antwort geben müssen.

Sie haben den Ausdruck gebraucht, dass es so war, dass die Multis mit Sicherheit gut gefahren sind. Fügt sich in diesen Kontext ein, dass die in Ungarn tätigen, zum Großteil in ausländischem Besitz befindlichen Handelsketten in der nächsten Zeit mit weiteren Strafsteuern rechnen können?

Nein, da geht es um etwas ganz anderes. Zunächst einmal ist noch nicht entschieden, was sein wird, was Sie als „Strafsteuer“ bezeichnen.

Ich habe vereinfacht.

Ja, aber ich teile diese Ansicht nicht, oder würde diese Erscheinung nicht so beschreiben. Es ist aber noch nicht entschieden, was wir machen werden, da wir eine Konsultation mit den Vertretern der Handelsorganisationen abhalten werden. Dies ist eine komplizierte, mehrschichtige Frage, hinzu kommt noch, dass sie viele Menschen betrifft, denn viele arbeiten ja im Handel, zugleich sind wir alle auch Käufer, während wir gleichzeitig häufig auch betrogen werden. Hier ist zum Beispiel das Problem mit der doppelten Lebensmittelqualität, dies ist also ein Gebiet, auf dem ein jeder der Ansicht ist, dass die Regulierung nicht ausreicht und nicht entsprechend ist. Jeder will sie verändern, aber es ist eine komplizierte Frage, wie man dies auf die Weise lösen könnte, dass möglichst viele Menschen dadurch gewinnen und niemand verliert? Man muss sich abstimmen, diesen Stein der Weisen trägt niemand in seiner Tasche. Weder der Händler noch die Regierung, weder die Kleinen noch die Großen, weshalb wir hier noch mit sich über Wochen erstreckenden Konsultationen rechnen müssen.

Wir wechseln etwas zwischen den Themen hin und her, aber wir müssen noch wegen der Türkei auf die Migration zurückkommen. Denn Mittwochnacht haben sie das Abkommen zum Teil aufgekündigt, das die Türkei mit der Europäischen Union geschlossen hatte. Es war nun für niemanden eine große Überraschung, dass sich diese Situation ergab, doch ist die Lage insgesamt doch die, dass es so scheint, als würde die Türkei die ziemlich starken Trümpfe, die sie in den Händen hält, benutzen.

Ich muss erneut sagen, wir haben unseren Ur-Ur-Ur-Ur-Ur- und unseren Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßvätern dankbar zu sein, da wir ja aus ihren Erfahrungen lernend leben. Und ich habe daraus, also aus den Erfahrungen der ungarischen Geschichte, den Schluss gezogen, den damals auf der internationalen Bühne nur Ungarn vertrat, dass man unsere Sicherheit ausschließlich in die Hände der Türkei nicht legen darf. Es weiß jeder, der die ungarische Geschichte und die sich damit beschäftigenden Romane sowie historischen Werke kennt, jeder, der die Mittelschule, ja, sogar jeder in der Volksschule weiß, dass man mit den Türken eine Vereinbarung finden muss, weil es viel besser ist, wenn wir miteinander übereinkommen, als wenn wir Feinde wären. Doch unsere Sicherheit ausschließlich in ihre Hände zu legen, ist keine kluge Politik. Und ich habe auch diesen Standpunkt in Brüssel vertreten. Hinzu kommt noch, dass es schließlich am wenigsten eine kluge Politik ist, unsere Sicherheit in die Hände der Türken zu legen, und zugleich ständig – wie soll ich es nur ausdrücken – an ihnen herumzunörgeln, sie zu attackieren, sie zu kritisieren, dass sie nicht demokratisch genug seien, ihre Frisur ihnen nicht richtig stehe, ihr politisches System nicht gut sei. Man darf sich nicht so verhalten, wir brechen ständig Konflikte mit den Türken vom Zaun. Ich behaupte nicht, dass sie in dieser Diskussion unschuldig sind, aber trotzdem scheint unsere Haltung der Türkei gegenüber nicht harmonisch zu sein, während wir von ihr unsere Sicherheit erwarten. Ich habe also auch damals schon gesagt, dass wir mit den Türken übereinkommen und inzwischen mit Volldampf die Zäune errichten sowie mit Volldampf für den physisch-technischen Schutz unserer eigenen Grenzen sorgen sollten, denn wenn aus welchem Grund auch immer das mit den Türken abgeschlossene Abkommen verpufft, dann werden wir uns an dem gleichen Punkt befinden wie zuvor. Ungarn war das einzige Land, obwohl ich vielleicht die Slowenen noch hierher zählen kann, die das verstanden und gesagt haben, wir sollten, so lange das Abkommen mit der Türkei besteht, damit beginnen, Sicherheitszäune zu errichten. Aus diesem Grunde bauen wir jetzt unser zweites Sicherheitsdorf, unseren zweiten Sicherheitszaun. Dieser wird bis Ende Mai fertig werden, und er wird derart sein, dass in der Lage ist, die größten, von der Türkei aus kommenden, größten Massen aufzuhalten.

Weil Sie damit rechnen?

Sodass in Österreich und Deutschland die Menschen ruhig schlafen können, denn die Ungarn werden hier die Außengrenzen Europas schützen.

Rechnen Sie damit?

Wir können dies auch nicht ausschließen.

Sie hörten in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsidenten Viktor Orbán.